Seit sechs Jahren überwintern zahlreiche Boeing 737 von TUI im sonnigeren Klima Nordamerikas, bevor sie nach fünf Monaten wieder in den europäischen Sommer zurückkehren. Warum schickt TUI ihre Flugzeuge nach Nordamerika und welche Vorteile ergeben sich dadurch?
Mit nachlassenden Temperaturen nimmt das Tourismusgeschäft auf vielen Kurzstreckenzielen rund ums Mittelmeer üblicherweise ab. Auch wenn in der Wintersaison weiterhin ein beachtliches Angebot an Flügen für Skibegeisterte sowie auf der Mittel- und Langstrecke besteht, so geht die Gesamtzahl der Flugreisenden im Vergleich zur Hochsaison im Sommer doch deutlich zurück. Eine gegenläufige Entwicklung gibt es hingegen in Nordamerika, wo zwischen November und April die Urlaubsreisen steigen. Fluglinien und Reiseveranstalter erleben dort die Hochsaison also im Winter und benötigen dann mehr Maschinen.
Dieser Saisonzyklus bringt sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich. Während die TUI-Gesellschaften in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Großbritannien und Irland ihre Hochsaison im Sommer haben und dann viele Flugzeuge benötigen, müssen sie im Winter Überkapazitäten bewältigen. Wenn die Flugzeugflotte des Konzerns eine optimale Kapazität erreichen soll, gilt es, Flugzeiten zu maximieren, damit Flieger, die nicht in Betrieb sind oder gewartet werden, keine Kosten verursachen. Um dies zu gewährleisten, versucht die TUI Group Synergien zu heben und den Bedarf an Flottenressourcen innerhalb des gesamten Konzerns zu steuern. Hierzu zählt auch die Kooperation mit der Sunwing Travel Group.
Die Sunwing Travel Group gilt als einer der größten Reiseveranstalter Kanadas. 2002 wurde das Unternehmen von der Familie Hunter gegründet und ist seither schnell gewachsen. Der in Toronto angesiedelte Reisekonzern befindet sich nach wie vor in Familienbesitz. Zu Sunwing zählen eine Flugline, drei Reiseunternehmen, eine Handelskette sowie ein Destination-Management-Unternehmen. Den Großteil seiner Pauschalreisen verkauft der Reiseanbieter nach Mexiko, in die Karibik und nach Zentralamerika.
Seit 2009 ist die TUI Group über ein strategisches Joint Venture an Sunwing mit 49-Prozent-Beteiligung. Tom Chandler, Director Fleet Management und Fleet Finance bei TUI, sieht viele Vorteile in der Kooperation mit der Sun Wing Travel Group: „Flugzeuge sind teure Vermögenswerte. Es ist unser Ziel, die Nutzung der Maschinen ganzjährig zu maximieren. Während in den Sommermonaten bei uns Hochsaison herrscht, betreiben wir das Winterprogramm mit weniger Fliegern, sodass wir einige verpachten können. Indem wir die Flugzeuge im Winter an Sunwing verleasen, kann TUI die Betriebskosten der eigenen Flotte senken und einen höheren Gewinn erzielen. In der Sommersaison hingegen greift TUI auf Flugzeuge des kanadischen Partners zurück, um die Kapazitäten in Europa zu erhöhen.“
TUI wird in der Wintersaison 2016/17 insgesamt 18 Flugzeuge vermieten, davon 14 an Sunwing. Im Sommer 2017 werden hingegen sieben Sunwing-Flugzeuge an TUI geleast, speziell für Thomson Airways und TUI fly in den Niederlanden. Von den 14 Fliegern, die 2016/17 an Sunwing gehen, kommen jeweils drei Maschinen aus Belgien und Deutschland sowie acht aus Großbritannien.
Flugzeug-Leasing – ein ganzjähriger Betrieb
In jeder Wintersaison werden bis zu 18 Boeing-737-Maschinen von TUI an Sunwing verpachtet. Das erfordert eine komplexe, ganzjährige Planung: Fachexperten, darunter Techniker und Ingenieure der TUI-Fluglinien, arbeiten gemeinsam mit Sunwing an der umfangreichen Übergabe der Flugzeuge. Die Herausforderung: Flottenlogistiker der TUI müssen die Ausgliederung der Flieger aus dem TUI-Flugprogramm und das Sunwing-Leasing vorbereiten. Gleichzeitig planen sie die Rückkehr der Maschinen nach der Wintervermietung, damit diese rechtzeitig zur Wiederaufnahme in das TUI-Flugprogramm bereitstehen. Parallel dazu wird sichergestellt, dass die Verpachtung den vertraglichen Bestimmungen entspricht und die Maschinen eine regelmäßige Generalüberholung erhalten.
Chris Broad ist Senior-Manager im Fleet Management Team und für die Vermietung von TUI-Fliegern zuständig: „Der Fokus liegt auf Flugzeugen von Thomson sowie Maschinen von TUI fly in Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Nachdem wir die Anzahl der zu leasenden Flieger ermittelt haben, vereinbaren wir mit Sunwing die Abflug- und Rückflugzeiten. Anschließend verhandeln wir mit den Flugzeug-Leasinggebern und Banken, die bei jeder Transaktion von TUI-Maschinen involviert werden müssen. Unsere Leasinggeber haben sich mittlerweile an die jährlichen Vermietungsaktivitäten gewöhnt, dennoch bedarf es immer viel Koordination, um eine reibungslose und rechtzeitige Überführung von Europa nach Kanada sicherzustellen. Ein aufwändiger Vorgang, allerdings auch praxisbewährt und erfolgreich.“
Sowohl TUI als auch Sunwing nutzen eine ähnlich gebaute Flotte von Boeing 737. Dadurch bedarf der Austausch wenig Anpassungen, um äußerlich der jeweiligen Fluggesellschaft zu entsprechen. Zudem ist aufgrund der ähnlichen Flotte keine zusätzliche Pilotenausbildung erforderlich. Die ersten Flieger migrieren im November, die letzten werden kurz nach Weihnachten überführt.
»Flugzeuge sind teure Vermögenswerte:
Tom Chandler
Es ist unser vorrangiges Ziel, ihre Nutzung
ganzjährig zu maximieren.«
Director Fleet Management
und Fleet Finance bei TUI
Unterschiede beim Flugzeugleasing
In der Branche spricht man von zwei Leasingarten: dem Wet- und Dry-Leasing. Wet-Lease bezeichnet eine Vermietung, bei der eine Fluglinie (Leasinggeber) einer anderen Fluglinie (Leasingnehmer) ein Flugzeug mitsamt der Crew, Wartung und Versicherung auf Stundenabrechnung überlässt. Beim Dry-Leasing gilt die Mietvereinbarung nur für das Flugzeug. In der kommenden Wintersaison werden zwölf der Flugzeuge mittels „Dry-Lease“ vermietet. Zwei Maschinen von Thomson Airways gehen als „Wet-Lease“ mitsamt acht Crews je Flieger nach Kanada. Das läuft laut Chris Broad wie folgt ab: „Die Dry-Lease-Flieger werden bei Sunwing voll eingegliedert. Die Wet-Lease-Flieger hingegen werden weiterhin von Thomson betrieben und gewartet. Dies erfordert eine größere Arbeit, da wir entsprechend den Regeln, Vorschriften und Standards der britischen Zivilluftfahrtbehörde die Verantwortung für die Flugzeuge tragen. Dafür ist ein Team im britischen Luton zuständig.“
Zugvögel
Die geleasten Flugzeuge sind im Winter auf verschiedenen kanadischen Flughäfen stationiert und fliegen von dort aus für Sunwing die Karibik, Kuba und Mexiko an. Im Sommer dreht sich dann der Wind: TUI braucht in Europa Verstärkung – und mietet zusätzliche Flugzeuge bei Sunwing.Brücken bauen
Sobald der Übergabetermin näher rückt, finden regelmäßige Meetings zwischen der Sunwing Travel Group und TUI statt, die als „Bridging“ bezeichnet werden. Diese Meetings sind unter zweierlei Gesichtspunkten wichtig: Zum einen geht es um den Austausch von technischen Informationen über den aktuellen Zustand der Flieger. „Dieser Austausch ist wichtig, denn basierend darauf kann Sunwing die Leasing-Flieger erst ins eigene System einbauen und künftig als „eigene“ Flieger nutzen. Zum anderen unterliegt Sunwing anderen Vorschriften als TUI, nämlich denen der kanadischen Behörden. Das „Bridging“ gewährleistet, dass der kanadische Reisekonzern alle erforderlichen Maßnahmen nach diesen Vorschriften einleitet. Umgekehrt erfolgt dasselbe vor der Rückführung nach Europa“, erklärt Chris Broad. Zum Sommer 2017 werden mittels der wechselseitigen Vereinbarung sieben Sunwing-Flieger an Thomson und TUI fly in den Niederlanden vermietet.
Tom Chandler befürwortet die Leasing-Vereinbarung zwischen dem kanadischen Reiseunternehmen und der TUI Group: „Dieses Modell ist vorteilhaft für beide Firmen und ermöglicht uns, auf Bedarfsänderungen in der Zukunft zu reagieren. Alle profitieren von diesem Vorhaben: Das Leasing deckt unsere Überkapazitäten im Winter und regelt flexibel unsere Kapazitäten in den Sommermonaten. Kurzum: Diese Vereinbarung bedeutet Effektivität und Erfolg mit einem vertrauten Geschäftspartner.“